Durchwachsener Juni

Auf dieser Reise kommt alles anders als geplant. Doch zunächst starten wir vom letzten IC Bahnhof auf deutscher Seite und fahren mit dem Fahrrad über die Grenze in die Niederlande. Über gewohnt deutsche Infrastruktur, geht es über auf Wald und Feldwege und ehe ich mich versah, bemerkte ich gar nicht, wie ich die Grenze überquerte. Dafür liebe ich Europa und feiere die offenen Grenzen.
Mein Plan ist es, zunächst nach Amsterdam zu radeln, von dort weiter nach Brügge, über Brüssel und Luxemburg nach Trier und durch Deutschland wieder zurück nach Potsdam. 3 Wochen BeNeLux + D Radreise.
Nachdem ich von den Feldwegen runter bin und auf die ersten Straßen gestoßen war, begrüßten mich die Niederlande mit Fahrradwegen. Gut, haben wir in Deutschland auch. Mehr schlecht, als recht. Aber hier gibt es rot eingefärbte Schutzstreifen auch auf Landstraßen und in Orten sind sie extra breit. Zusätzlich gibt es echte Fahrradstraßen (nur für Fahrräder) mit Mittellinie, die neben der Infrastruktur für Autos gebaut wurden. Ich bin hyped.
So freute ich mich auf die nächsten Tage und Wochen und fürchtete jetzt schon die Rückkehr auf deutsche Infrastruktur. Doch daran wollte ich zu diesem Zeitpunkt nicht denken und erfreute mich an den Wegen. Natürlich war ich wieder mit dem ganzen „Hausstand“ unterwegs und erfreute mich an meinem Glampingleben.

Aus Ostdeutschland und unseren angrenzenden Nachbarn im Osten, sind wir es gewohnt, dass Relikte aus dem 2. Weltkrieg und dem Kalten Krieg, in unseren Wäldern zu finden sind. Viele dieser Orte, über- und unterirdisch, habe ich gesucht und erkundet. Dass ich derartige Relikte direkt am Wegesrand finden werde, war mir im Vorfeld zu dieser Reise nicht bewusst. Und so entdeckte ich auf ganzer Linie Verteidigungsstellungen, die zunächst für die Abwehr der Nazis dienen sollte und später, unter der NATO, als letzte Verteidigungslinie im Kalten Krieg dienen sollte, falls Deutschland bei einem Angriff der Sowjetunion fällt. Mit dem Fall der Sowjetunion und dem Aufblühen der Europäischen Union, begann eigentlich die beste Zeit in Europa, in der es friedlich wie nie wurde, die Barrieren fielen und die Freiheiten immer größer wurden. Und dann schaut man sich heute diese Relikte einer vergangenen Zeit an, in die keiner wieder zurückfallen will und sieht populistische Nationalisten aufblühen und im Osten Europas tobt ein Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt. Ich hoffe auf einen guten Ausgang und führte meine Reise fort.
Auf meiner Reise kam ich dann auch schon durch die ersten kleinen Städte, die von süßen Kanälen durchzogen waren und brachten schon die erste Vorfreude auf den Besuch der Hauptstadt.
Auf dem Weg nach Westen kämpfte ich jeden Tag gegen den Westwind, der durchschnittlich 20 Km/h hielt, was bei einer ungefähren Reisegeschwindigkeit von 17 Km/h doch sehr auf die Ausdauer und mentale Verfassung ging. Doch schöne Landschaften und schönes Wetter motivierten mich weiterzufahren.



Am Ende von Tag 3 bin ich völlig erschöpft am Rand von Amsterdam angekommen und habe zum besten Preis-Leistungs-Verhältnis mein Zelt aufgeschlagen. Mit 35 € für 2 Nächte, am Stadtrand von Amsterdam, 5 Minuten Fußweg von der U-Bahn-Station und somit nur 20 Minuten von der Innenstadt entfernt, kann ich auch akzeptieren, in der Einflugschneise vom Flughafen zu schlafen.

In der Nacht zu Tag 4 hat es dann angefangen richtig zu regnen und es entwickelte sich zu einem schönen Dauerregen. Da ich eh beschlossen hatte, mir Amsterdam zu Fuß anzuschauen, konnte ich zunächst mit diesem Umstand leben, was sich nach einem ganzen Tag Dauerregen ändern wird. Auch der Morgen verlief alles andere als gut. Als Erstes stellte ich fest, dass mein Zelt nicht mit Dauerregen und hohe Luftfeuchtigkeit klarkommt. Das Außenzelt lag auf dem Innenzelt und verwandelte mein Zelt in eine Tropfsteinhöhle. So viel zu UL Ausrüstung (Ultralight). Dann verweigerte mein neuer und teurer Gasbrenner den Dienst, wodurch Tee und Frühstück ebenfalls ins Wasser fielen.
Amsterdam

Dank der absolut großartigen Anbindung des Campingplatzes war ich in kürzester Zeit in Amsterdam und konnte mir ein schönes Frühstück besorgen, um endlich gut gelaunt und gestärkt in den Tag zu starten. Der anhaltende Regen und die ständig kreisenden Gedanken, wie die Tour weiter gehen soll, waren meine Begleiter für den ganzen Tag, wodurch sich dieser Städtetag ziemlich gezwungen anfühlte, aber ich dennoch das Beste draus machen wollte. Als Erstes begann ich den Tag mit einer Grachtenfahrt, um mir die Stadt vom Wasser aus anzusehen und mir einen Überblick zu verschaffen, was ich dann noch zu Fuß besichtigen wollte.
Neben den touristischen Hotspots war ich auch auf der Suche nach einem neuen Gasbrenner und steuerte immer ein falsches Decathlon an, da ich bis zu diesem Tag nicht die Mini-Decathlons kannte, in denen es keine Gasbrenner oder Gaskartuschen gibt, welche erst später in Deutschland eingeführt wurden. Als ich das letzte Decathlon ansteuerte, welches mir empfohlen wurde, fand ich irgendeinen anderen extrem guten Outdoorladen, wo ich zugleich in einen Einkaufsrausch verfallen bin. Mit neuem Gasbrenner, Handtuch und ein paar Kleinigkeiten ging es zum Zelt zurück, Einkäufe abliefern und Tropfsteinhöhle begutachten. Da alles dem Umstand entsprechend gut aussah, ging es wieder ins Zentrum und es wurde weiter die Stadt erkundet.
Da Wetter und Motivation nicht in bester Verfassung waren, gibt es hiervon leider keine Bilder, was ich bei einem nächsten Besuch nachholen werde.

Am Abend wurde noch ein neuer Plan geschmiedet und ich entschied mich, wieder nach Osten zurückzufahren, um nicht die nächsten 7 Tage durch Dauerregen und Gegenwind zu fahren. So wäre ich sonst die Gefahr eingegangen, fast die Hälfte meines Urlaubs bei echt miesem Wetter mit ungeeigneter Ausrüstung zu verbringen.
So gab mir ein regelrechter Sonne-Wolkenmix und viel Rückenwind mir ordentlich Anschub und erhellten meine Stimmung.
Der Streckenverlauf war auch schön abwechslungsreich und ich kam entlang vieler schöner Orte und Städtchen.
In den folgenden Tagen passierte nicht viel, da es wenig Abwechslung gab. Die gut ausgebauten Fahrradwege machen schon viel Spaß zu fahren, aber die Landschaft ist durchgehend flach und langweilig. Auf meinem Weg begleiteten mich ewige Felder, Flüsse und Kanäle. Der nahezu durchgehende ungestörte Blick zum Horizont, vergrößerten meine Sehnsucht nach Wäldern, Hügeln und Bergen.
Was mir hier sehr deutlich wurde, wie schön und abwechslungsreich Brandenburg ist. Es hat durchaus auch seine langweiligen und nicht so schönen Seiten, überzeugt aber auch mit bezaubernder Landschaft, wie dem Spreewald, den schönen Laubwäldern in Oberhavel, der Oder-Neiße-Region (dazu später mehr 😉 ) und die vielen schönen Städtchen. Okay, bei den schönen Städtchen können die Niederlande auch gut mithalten.
Am 6. Tag verließ ich wieder die Niederlande und kam auf deutsche Fahrradinfrastruktur, die sich schlagartig negativ auffiel. Und dort, wo Fahrradwege fehlten, war es kein Vergnügen mehr zu fahren. Und die flache, monotone Landschaft der Niederlande setzte sich in Niedersachsen fort.
Langsam begann ich zu zweifeln, ob die Ostsee das richtige Ziel ist, welches ich mir gesteckt hatte, da ich so langsam keine Lust mehr auf waldloses Flachland hatte. Ich sehnte mich extrem nach Wäldern. Jedes Wäldchen gab mir ein kurzes high wie bei einem Drogensüchtigen, wenn er sich einen Schuss setzte.

In Bremen angekommen, änderte ich meine Entscheidung, und beschloss nach Süden abzudrehen und den Harz anzusteuern. Ich wollte Bäume und Höhenmeter. Aber vorher sollte noch eine rasche Stadtbesichtigung durch Bremen erfolgen. Auf der Suche nach den Bremer Stadtmusikanten verdrückte ich noch 2 Fischbrötchen, um dann frisch motiviert weiter zu fahren.

Doch nichts ist beständiger als die Lageänderung!
Sowie ich meine Richtung drehte, drehte auch das Wetter seine Richtung und ich würde durchgehend mit der Schlechtwetterfront mitfahren. Egal welches Ziel ich mir vornahm, wo es gerade schön oder besser war, würde bei meinem eintreffen mit mir das schlechte Wetter ankommen. Es war wie verhext.
Es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Kleidung, sagt man. Aber wenn das Dach undicht ist und kein Licht am Horizont zu sehen ist, dann ist das mein Endgegner, wie ich feststellen musste. Solche Reisen sind auch Erfahrungsreisen über sich selbst. Und auf dieser Reise habe ich auch wieder viel über meine Bedürfnisse gelernt, was mir auf meinen folgenden Reisen sehr helfen wird.
Um nicht noch unglücklicher zu werden, beschloss ich in Hannover meine Reise zu beenden, in einen Zug zu steigen und wieder nach Hause zu fahren.
Dort sollte schon mein neues Zelt auf mich warten, dass ich vor ein paar Tagen online bestellt hatte und sollte noch auf einer spontanen weiteren Radreise ein paar Tage später getestet werden.
Und so endet dieser doch etwas andere Reisebericht, bei dem die Tiefen die Höhen überwogen. Das Thema BeNeLux soll an der Stelle aber nicht aufgegeben sein, sondern soll nachgeholt werden, mit Start in Amsterdam. Denn ich freue mich noch darauf, den Süden der Niederlande, Belgien und Luxemburg kennenzulernen.
Bis zur nächsten Reise…